Gemeindebrief zur Adventszeit
Monday, 5. December 2011
Der Adventskranz gehört wohl für die allermeisten von uns zu den Selbstverständlichkeiten der Adventszeit. Genauso wie die Selbstverständlichkeit erst eine, dann zwei, dann drei und schließlich vier Kerzen zu entzünden. Umso nachdenklicher wurde ich, als ich einem Buch von Norbert Lohfink (ein em. Professor für Altes Testament) einen etwas anderen Brauch und seine Gedanken dazu entdeckte. Und die möchte ich Ihnen in diese Adventszeit mit hinein geben. Er schreibt:
„Bei uns zu Hause war es Sitte, am ersten Adventsonntag alle vier Kerzen anzuzünden, am zweiten nur noch drei, am dritten zwei und am vierten nur noch eine einzige. Unsere Nachbarn dagegen machten es umgekehrt. Man begann mit einer einzigen Kerze, am zweiten Sonntag brannten dann zwei, am dritten drei, am vierten vier. Erste Frage also: „Wer macht es richtig, wer macht es falsch?“ Diplomatische Antwort der Eltern: „Beides ist gut, man kann es so oder so machen.“ Sofort stößt die zweite Frage nach: „Aber warum kann man es so oder so machen?“ Darauf erklärte uns die Mutter dann, dass man sich bei beidem etwas denken könne: „Wir denken immer: Wie lange dauert es noch bis Weihnachten? Zuerst noch vier Wochen, also vier Kerzen. Dann drei Wochen, also drei Kerzen. Und so weiter, bis Weihnachten ist. Die Nachbarn dagegen zählen die Adventsonntage: Erster Adventsonntag, eine Kerze, zweiter Adventsonntag, zwei Kerzen, und so weiter, bis es Weihnachten ist.“
Soweit ich mich erinnern kann, waren wir damals mit dieser Antwort zufrieden. Sie war ja auch nicht falsch. Heute könnte ich trotzdem noch etwas mehr dazu sagen, obwohl ich nicht weiß, ob das, was ich mir so denke, wissenschaftlich beweisbar ist. Ich glaube, meine Eltern, die zuerst alle Kerzen anzündeten, und dann immer weniger, hatten den urtümlicheren Brauch. Je mehr es auf Weihnachten zuging, desto geringer wurde draußen in der Natur das Licht, desto länger wurden die dunklen Nächte. Der grüne Kranz mit seinen vier Kerzen war ein Symbol der Welt, genau wie dann an Weihnachten die Pyramide des Lichterbaums ein Symbol der Welt war. Die schwindende Zahl der Lichter auf dem Kranz zeigte an, dass die Welt immer dunkler wurde. Kurz vor Weihnachten waren dann die dunkelsten Tage erreicht. Von da an wurden die Tage wieder länger. Da strahlte die Hoffnung auf wachsendes Licht auf, und deshalb wurde dann ein ganzer Weltenbaum voller Lichter gesteckt. So spiegelte sich in unserem winterlichen Lichterbrauchtum der Rhythmus der Natur. Wir erlebten im Symbol, selbst wenn wir es nicht voll begriffen, den ewigen Kreislauf des Jahres, das ewige Auf und Ab, das ewige Hin und Her.
Wenn unsere Nachbarn es mit ihren Kerzen auf dem Kranz nun anders hielten, dann zeigte dies so etwas wie eine Stellungnahme zum ewigen Hin und Her des immer Gleichen an. Der Kreislauf wurde verneint. Das Licht, so wurde behauptet, nimmt immer nur zu. Mochte die Natur draußen auch immer dunkler werden, drinnen, wo Advent gefeiert wurde, nahm das Licht von Woche zu Woche zu, bis es schließlich anschwoll in die Lichterflut des Christbaums.
Das war eine Symbolik gegen die Erfahrungswelt. Es war eine Symbolik der Hoffnung. Sie stand im Zusammenhang der christlichen Feier von Erwartung des Herrn und Geburt des Herrn. Gegen das Hin und Her im Meer des immer Gleichen baut sich bei diesem Brauch im wachsenden Licht der Kerzen ein Turm der Zuversicht auf. Wenn ich heute durch die Wochen des Advents hindurch einen Adventskranz zu betreuen hätte, fiele es mir wahrscheinlich gar nicht leicht, mich zwischen den beiden Bräuchen zu entscheiden. Das Licht abnehmen zu lassen – wie sehr entspricht es der Erfahrung! Das Licht zunehmen zu lassen – wie sehr widerspricht es ihr! Und doch würde ich mich heute wohl dafür entscheiden, das Licht zunehmen zu lassen. Wer an Jesus glaubt, kann eigentlich nicht anders. Jesus – das heißt, dass von Gott her ein solches Maß an Güte in diese hin und her schwankende Welt gekommen ist, dass nichts mehr sie vertreiben kann. Es heißt, dass Gott selbst sich für einen Namen entschieden hat, der alle anderen Namen Gottes in den Hintergrund treten lässt. Er ist nicht mehr der Gerechte, der Unerbittliche, der Ferne, sondern der, der uns nah ist, der, der gut ist, die Liebe.“
Liebe Gemeinde,
lassen wir uns vom zunehmenden Licht auf unseren Adventskränzen anstecken und Licht in unsere Welt bringen.
Eine gesegnete Adventszeit wünscht Ihnen Ihr Pfarrer,
Wigbert Scholle